Femizide – ermordet, weil sie Frauen waren
Gewalt gegen Frauen, Partnerschaftsgewalt und Femizide standen im Fokus eines Vortrags von Julia Cruschwitz im Bürgersaal Bissendorf. Ann-Christin Schultz moderierte die aufrüttelnde Abendveranstaltung.
Am 25. November wurde der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, englisch „Orange Day“ begangen, der 1999 offiziell von den Vereinten Nationen (UN) eingeführt wurde.
Bevor der Vortrag mit schwerer Thematik im Bürgersaal Bissendorf begann, wurde vor dem Rathaus gemeinschaftlich die Fahne „Nein zu Gewalt gegen Frauen“ gehisst. Diese bleibt bis zum Jahresende an zentraler Stelle präsent, dicht neben einer im Vorjahr dauerhaft platzierten orangefarbenen Bank.
Bürgermeister Guido Halfter bedankte sich während des symbolischen Akts bei den anwesenden Akteurinnen – vorneweg bei Angelika Rothe, Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Bissendorf und bei allen Vertretern des Arbeitskreises Familienbündnis.
Unter den Gästen begrüßte er auch Heike Bartling von der Beratungs- und Interventionsstelle für den Landkreis Osnabrück. Angesichts eines am Vorabend verfolgten Fernsehberichts über Opfer von Gewalt gegen Frauen und deren stark belasteten Hinterbliebenen, fielen Halfter ausführliche Worte schwer.
Warum es ein so immenser Kraftaufwand für von Gewalt betroffene Frauen ist, sich aus der Abhängigkeit ihres Partners zu befreien (im Schnitt braucht es fünf Anläufe bis die Opfer wirklich gehen), verdeutlichte Gastrednerin Julia Cruschwitz kurz darauf anhand einer ersten schockierenden Beziehungstat:
Das schwere Verbrechen gegen eine 37-jährige Frau und ihr sechs Wochen altes Baby im Leipziger Auwald während des Lock-Downs bewegte die Journalistin, die sich bis dato wenig mit Gewalt gegen Frauen auseinandergesetzt hatte, das Thema fortan in die Öffentlichkeit zu tragen.
Mit ruhiger Stimme las die Autorin Auszüge aus dem gemeinsam mit ihrer Kollegin Carolin Haentjes geschriebenen Buch „Femizide – Frauenmorde in Deutschland“ vor und rang an besonders beklemmenden Stellen um Fassung.
Während der Schilderungen, die auf Berichten von Frauen beruhen, die partnerschaftliche Gewalt aufgrund männlichen Dominanzdenkens erleiden mussten, wurde eines schnell deutlich: Neben der auch heute noch großen ökonomischen Abhängigkeit von Frauen ist die Aussicht auf eine schnelle Konfliktlösung besonders gering, wenn der Täter der Vater ihrer Kinder ist.
Denn nicht selten hebelt das Umgangsrecht den Schutz vor Gewalt aus und lässt Opfer aus Angst, das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren, Anzeigen zurückziehen. Statistiken zufolge zeigen nur 5 Prozent der betroffenen Frauen partnerschaftliche Gewalt an.
Mehrfach stellten sich Ann-Christin Schultz und Julia Cruschwitz Zwischenfragen aus dem Publikum. Fotos: Gemeinde Bissendorf
Anhand dreier Fallbeispiele mit geänderten Namen legte Cruschwitz dar, dass die jährlich 130 stattfindenden Femizide in Deutschland vor allem auf strukturelle Probleme in einem patriarchalisch geprägten System zurückzuführen sind. Anstelle eines föderalen Flickenteppichs sei ein einheitliches Hochrisikomanagement bei häuslicher Gewalt in allen Bundesländern für eine Besserung der Situation unerlässlich.
Nur durch behördenübergreifendes Agieren und Informationsaustausch von beispielsweise Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendamt, Familiengericht, Frauenhäusern und Täterberatungsstellen sowie die Einhaltung von Richtlinien für beschleunigte Umgangsverfahren bei häuslicher Gewalt, könne Prävention gelingen.
„Es passieren Dinge in kleinen Schritten, die mich hoffnungsvoll stimmen, wie die Verabschiedung des neuen Gewaltschutzgesetzes, das 2032 in Kraft tritt“, betonte Cruschwitz. Deutschland im Allgemeinen und Niedersachsen im Speziellen stehen im Vergleich gut da, dennoch bleibe angesichts hoher Dunkelziffern Luft nach oben.
„Man kann Frauen immer nur versuchen zu bestärken, auch wenn man die Dynamik toxischer Beziehungen als Außenstehender oft nicht nachvollziehen kann. Es gibt genug positive Beispiele von Frauen, die es geschafft haben, einem geplanten Mord an ihnen und ihrer Rolle als Frau, Mutter oder Tochter zu entkommen“, so die Expertin.
Denn Femizide finden in der Regel nicht irgendwo im Verborgenen statt, sondern am helllichten Tag. Die meisten Täter, die aus Angst davor oder gekränktem Stolz darüber, verlassen zu werden, gewalttätig gegen ihre Partnerinnen werden, fühlen sich absolut im Recht und zeigen keine Reue.
„Immer wieder berichten mir die Frauen, dass die psychische Gewalt durch gesellschaftliche Isolation, Eifersucht, Kontrolle, emotionale Erpressung und extrem manipulatives Verhalten viel schwerer wiegt, als die körperliche“, betonte Cruschwitz und forderte, dass die Täter viel mehr in den Fokus genommen werden müssten.
Während des Gastvortrags, bei dem die Rechtsanwältin und Ratsfrau Ann-Christin Schultz moderierend mitwirkte, nutzten die Zuschauer immer wieder die Möglichkeit für Fragen und Austausch. Angesichts des letzten Auszugs aus dem Buch blieb es im Bürgersaal jedoch lange still.
Die Autorin rief einen besonders perfiden Fall in Erinnerung, der sich am 9. Mai 2019 in Dresden ereignete und im vergangenen Jahr zur Einführung eines behördenübergreifenden Hochrisikomanagements im Bundesland Sachsen führte, um Fälle mit hohem Gefährdungspotential zu identifizieren:
Eine Woche vor dem Scheidungstermin hatte der später zu lebenslanger Haft verurteilte Straftäter seine Frau unter dem Vorwand zu sich nachhause gebeten, den gemeinsamen Kindern ein zum Einschlafen wichtiges Kuscheltier vorbeizubringen.
In der Wohnung angekommen fand die Frau, die einem Femizid nur durch das couragierte Eingreifen von Nachbarn und Passanten entging, ihre 2- und 5 Jahre alten Kinder zugedeckt im Bett. Beide hatte ihr Ex-Mann zunächst bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und ihnen anschließend den Mund- und Rachenraum vollständig mit Bauschaum ausgefüllt.
